COUP DE BOULE

Deutschland 1987, 8 min


Regie, Produzent, Kamera: Romuald Karmakar
Schnitt: Romuald Karmakar, Margarete Rose
Produktionsfirma: Exocet-Film Karmakar (München)
Format: 16mm (S-8 blow up), 1:1,33
Bild/Ton: Farbe, Mono

WP: 20.02.1988, Berlin, IFF - Panorama
DP: 19.04.1988, Oberhausen, IFF - Deutscher Wettbewerb

Verleih / Pantera Film GmbH


NEWS


SYNOPSIS

Mit der Stirn dem Gegenüber ins Gesicht stoßen;
französische Soldaten mit der Stirn gegen den Spind, die Holztür – zum Spaß, für alle Kameraden.
Geht die Tür kaputt? Nein.
Der Kopf? Nein.
Was dann? Nichts.


ZUM FILM

Romuald Karmakar, Jahrgang 1965, ist als Sohn einer französischen Mutter und eines indischen Vaters 1987 zum französischen Wehrdienst eingezogen worden. Der Bataillonsphotograph, der eigentlich den Ereignissen des Kasernenhoflebens ein "besonderes Gewicht geben" soll, holt stattdessen seine Kameraden vor die Super-Acht-Kamera, die er am Ende eines Urlaubs eingeschmuggelt hat. Er filmt ein Phänomen, das in Frankreich verbreiteter ist als in Deutschland: "Coup de boule", das Austeilen von Kopfnüssen. Aber die jungen Soldaten, die er vor die Kamera und ins Rampenlicht bittet, als gälte es, sich auf einer Probebühne als Schauspielnachwuchs zu bewähren, treten nicht gegeneinander an. Sobald sie ihren Namen, Alter und Dienstgrad genannt haben, rennen sie mit dem Kopf gegen einen Spind: "Zum Spaß, für alle Kameraden". Die Vorstellung individueller Lebensläufe scheint bei diesem kollektiven Wettlauf um Anerkennung auf der Strecke zu bleiben. Doch die Jungen, die ihre Beulen wie Auszeichnungen tragen, lächeln, wenn sie gegen den Spind krachen. Von der eingedellten Tür lösen sich Zettel, die mit Reißnägeln angepinnt waren. Der Realität des Aufpralls bleibt es überlassen, die Lust an der Deformation, die befremdliche Wucht dieser Selbstdarstellung zu kommentieren. Auch das nervenaufreibende Quietschen, das den Film überkommt, wenn die Jungs ihre eisernen Bettgestelle stemmen, ist so ein Kommentar. Von den Kasernierten erfährt man nichts über den Zweck ihrer außerdienstlichen Übungen. "Fuck you", sagen sie, wenn sie stemmend und rammend auf ihre Art ihren Kopf durchsetzen, aber man weiß nicht so recht, wen sie meinen: den Spind, das Bett, das Leben, die Kamera, sich selber, den Vorgesetzten. Am Ende verschwinden die Armeeangehörigen, denen Karmakar für 25 Minuten ein Gesicht, ein An-Sehen gegeben hat, wieder in der Anonymität des Truppenalltags. Im Dunkeln, das Klischees gebiert. Karmakars Beobachtungen, die weder von Erkentnissen noch von Bekenntnissen auf den einen Begriff gebracht werden, der ein gebräuchliches Urteil über Personen und Handlungsweisen ermöglicht, haben linken wie rechten Betrachtern gleichmermaßen Kopfschmerzen bereitet. 14 Tage Bau, drei Monate auf Bewährung, hat die französische Armee ihrem unautorisierten Dokumentaristen als Disziplinarstrafe zugedacht. "Alle Leute, die in dem Film mitgemacht haben", so der in München lebende Filmemacher in einem Interview mit Rolf Aurich (in filmwärts No 17), "mussten unterschreiben, dass ich ihnen kein Geld gegeben habe". Die Beteiligten wurden des Drogenmissbrauchs beschuldigt. Offiziere, die den Film nie sahen, erkannten in Karmakar einen "irgendwie linken, subversiven Typen". Dieses "irgendwie", hilfloser Ausdruck des Unfassbaren, ist an Karmakar haftengeblieben. Auf der Berlinale 1988, die COUP DE BOULE präsentierte, wurde der unorthodoxe, autodidaktische Filmemacher von einem eher links orientierten Publikum "irgendwie" der Verklärung faschistoider Rituale und Zurichtungsmechanismen verdächtigt. – Blicke, die nicht richten. Die Filme von Romuald Karmakar. Von Heike Kühn, epd Film, 03/1993


VARIA

REVIEWS